kultur Odyssee aus dem Alltag zum Alltag Zwei Leckerbissen erhellten die Deutschfreiburger Kulturlandschaft: die einheimische 8-mm-Filmkultur im Bad Bonn zu Düdingen und die deutschen Pop- Poeten Blumfeld im Fri-Son. Eine Kulturreise. Mario Corpataux Blöd dreinschauende Schafe, aufblasbare Walfische während der Strandferien, eine überbelichtete Fahrt ins winterlich verzauberte Bad Bonn, und das alles aus der Sicht der 8-mm-Kamera. Die beschränkten technischen Möglichkeiten dieses Mediums verlangen im Zeitalter der Digitalkameras umso mehr das Auge für die Inszenierung. So wie bei Ivo Stritt, der seinen Filmstreifen kurzerhand durch die Nähmaschine gelassen hat, Effekt lass grüssen. Vor allem braucht es die Idee, aus Alltäglichem eine maximal drei Minuten lange Geschichte zu machen. «Überfluss» von Daniel Fontana ist eine dieser Geschichten. Ein überlaufendes Bier, das sich nach seinem normalen Weg durch den Organismus per Nieren und männlichen Wurmfortsatz in die WC-Schüssel ergiesst: fertig ist der 8-mm-Loop. Diejenigen, die noch vor dem x-ten Feierabendbier sitzen, blicken skeptisch auf diese komischen, verwackelten Filme. Den extra Angereisten bleiben die schlechten Plätze, und die dicke Luft müssen sie gleich mitkaufen. Auf der Fahrt ins Fri-Son Zu diesem Zeitpunkt die hitzige Stimmung im übervollen Bad Bonn verlassen zu dürfen, ist wie eine Erlösung. Aber was erwartet mich im Fri-Son? Einige Celsiusgrade weniger sicher, viel mehr Beinfreiheit garantiert. Werden mich auch Blumfeld aus Hamburg erwarten? Sind die Stimmbänder des Sängers diesmal nicht wie im Oktober belegt? Die besungenen grauen Wolken sind zwar nicht sichtbar, aber das Grauen im Magen, ob der Ungewissheit, hat seine Wirkung. Emotion pur «Totgesagt und nicht gestorben», singen Blumfeld und treffen den Nagel auf den Kopf. Nach ihrem Wechsel von der Unabhängigkeit zu einer Major-Plattenfirma drohten sie im Kommerzsumpf zu versinken. Die sozialkritischen Texte und Liebeslieder wollten von der Fachpresse nicht mehr verstanden werden wie vorher. Klar, dass für Blumfeld jetzt das dickere Geldbündel wedelt. Auf der Bühne zeigen sich aber die wahren Meister. Blumfeld oder besser deren Sänger Jochen Distelmeyer nehmen die Bühne für sich ein und den Zuschauer gleich mit. Love und viel mehr Ab der ersten Note fliessen die Emotionen. «Alle Gefühle des Lebens» habe sie gespürt, meint eine verzückte Zuschauerin. Dabei erzählen Blumfelds dunkle Geschichten über den Alltag, verpackt in unauffällige, aber einnehmende Melodien. Sie spielen mit dem Tal der Tränen und lassen keine Tiefe aus. Sie lassen Gefühle tiefleben und verbreiten trotzdem nicht Trübsal. Jeder der Zuschauer weint und lacht gleichzeitig - auch Kritiker. Zugaben ohne Ende Doch was soll das? Nach einer knappen Stunde verlassen sie die Bühne. Doch zu viel erwartet? Merde, schliesslich gelten Blumfeld auch als schwierig. Waren die nur 150 Zuschauer zu wenig frenetisch oder gar zu wenig unterwürfig? Sorry Blumfeld, niemand konnte ahnen, dass ihr in Freiburg dann noch über eure Verhältnisse auftaut. «Das trifft uns etwas unvorbereitet», meint Distelmeyer, als er zu der mindestens zehnten Zugabe ausholt. Noch nie gesehen: der Zugabenteil dauert länger als der Rest. Blumfeld und speziell Distelmeyer werden in diesem Teil zeitweise eins mit dem Publikum, und der Leadsänger vermag gar wirkliche Sympathie aufzubauen - er, der zynische Philosoph. Blumfeld haben sich wohlgefühlt und mit ihnen das Publikum. Trotzdem: Blumfeld-Konzerte sind intensiv, verlangen viel psychische Kraft des Zusehers. Zurück ins Bad Bonn Die Tränen noch nicht weggeputzt, das Konzert noch nicht verdaut, zurück in die reale Welt des Bad Bonn. Jetzt kann eigentlich alles nur noch schlechter werden. Wegen der unerwarteten Konzertdauer sind die Filme vorüber. An den Feierabendbierlern seien die Streifen weiter unbeachtet vorbeigegangen. Hätten sie gewusst, dass ein anonymer Busenfilm und, als Spitze des erotischen Eisberges, ein pornografisches Werk ohne Gesichter im Programm gewesen ist - das Bier wäre ihnen während drei Minuten egal gewesen. Mehr über Blumfeld: www.blumfeld.de |